Homosexualität und Glaube

Gefangen zwischen Verdammung und bedingungsloser Annahme

Photo by Jose Pablo Garcia on Unsplash

Ist Homosexualität mit dem Glauben vereinbar?

Wohl kaum ein anderes Thema ist so kontrovers und erhitzt die Gemüter der Christen mehr als das Thema Homosexualität. Die Argumente gegen Homosexualität sind schnell zur Hand.

Es ist eine Wahl.

Es ist eine Sünde.

Die Bibel ist klar gegen Homosexualität.

Durch Therapie können Homosexuelle geheilt werden.

Doch ganz so einfach ist es nicht…

Was sagt die Bibel dazu?

Als Christ ist es mir natürlich wichtig, was die Bibel zu diesem Thema sagt. Die biblische Grundlage, um Millionen von Homosexuellen in die Hölle zu verdammen, ist allerdings recht mager. Es sind gerade mal 6 Bibelstellen: 1.Mose 19, 3. Mose 18,22 und 3. Mose 20,13 im Alten Testament und Römer 1,26-28, 1. Korinther 6,9+10 und 1. Timotheus 1,9+10 im Neuen Testament. Ihre Aussagen sind nicht so klar, wie wir vielleicht denken. Wichtig ist dabei immer der geschichtliche und kulturelle Kontext und ob die Stellen 1:1 in die heutige Zeit übertragen werden können oder eben nicht. Carsten Schmelzer bringt es in seinem Buch über Homosexualität auf den Punkt, wenn er in sagt: „Es geht um die Spannung zwischen einem alten Buch und einer modernen Zeit.“ (Schmelzer 2015, S. 26)

Gehen wir die Bibelstellen kurz durch. In 1.Mose 19 geht es um die berühmte Geschichte von Sodom und Gomorra. Allerdings geht es hier um eine geplante Massenvergewaltigung und nicht um Homosexualität im heutigen Sinne. Die beiden anderen Bibelstellen im AT sind Teil der Heiligkeitsgesetze, ein Gesetz, nach dem seit 2000 Jahren keiner mehr lebt. Schmelzer sagt dazu: „Es hat schon etwas Willkürliches, wenn man sagt, dass nur bestimmte Gesetze, wie das Verbot der Homosexualität, noch gültig sind, während andere, wie Speise- und Kleidungsverordnungen, nicht mehr gelten. […] [W]er einen Teil für gültig hält und andere nicht, macht sich am ganzen Gesetz schuldig (Jakobus 2,10). Nach welchen Kriterien sollte man auswählen, um zu bestimmen, welche Gesetze uns noch heute inspirieren und welche nicht?“ (Schmelzer 2015, S. 59)

Kommen wir noch kurz zu den drei Bibelstellen im Neuen Testament. Bei den Lasterkatalogen im Korintherbrief und bei Timotheus wird Päderastie verurteilt, also Sexualkontakte mit minderjährigen Knaben. Die Wuppertaler Studienbibel ordnet die griechischen Ausdrücke „malakoi“ und „arsenokoitai“ „der ‚griechischen Knabenliebe‘ zu und grenzt das ausdrücklich von heutiger Homosexualität ab“. (Grabe 2020, S. 41–43) Im Römerbrief zieht Paulus das Beispiel des gleichgeschlechtlichen Aktes als Beispiel für die Verdorbenheit der damaligen Gesellschaft heran, um die Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen aufzuzeigen und damit die Wichtigkeit, Christus anzunehmen. „Es geht nicht darum, dass Schwule und Lesben Sünder sind – es geht darum, dass in Gottes Augen jeder Mensch ein Sünder ist.“ (Schmelzer 2015, S. 265–266)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei allen Stellen um promiskuitive homosexuelle Praktiken geht, „wie sie in den heidnischen Kulturen der kanaanitischen Völker, oder zur Zeit des Neuen Testamentes in der griechisch-römischen Kultur weitverbreitet waren. In aller Regel wurden diese von ansonsten heterosexuell veranlagten Menschen ausgeübt“ (Eric 2014). Diese Praktiken werden durchwegs negativ bewertet, weswegen zum Beispiel Sam Allberry in seinem Buch „Ist Gott homophob?“ den radikalen Schluss zieht: „Die durchgehende Lehre ist offensichtlich: Gott verbietet homosexuelle Handlungen.“ (Allberry 2021, S. 52) Und sein Fazit aus dieser Erkenntnis lautet pauschal für alle Homosexuellen: „Wie alle Ungerechten sind sie auf dem Weg ins Verderben.“ (Allberry 2021, S. 103–105) Damit könnten wir das Thema eigentlich abhaken. Ist ja alles klar, oder?

Die Kluft zwischen der Lehre und dem Leben

Und was ist mit den Menschen, die es betrifft? Und was ist vor allem mit gläubigen Christen, die homosexuell sind? Denn es gibt sie, oft versteckt in unseren Gemeinden, ungeoutet aus Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung. Es sind Menschen, die nicht halbnackt am Christopher-Street Day herumlaufen oder mit jedem ins Bett hüpfen, wie man klischeehaft vermutet. Es sind Menschen, die die Bibel und ihren Glauben an Jesus sehr ernst nehmen, während diese sechs Bibelstellen wie ein Damoklesschwert über ihrem Leben hängen. Valeria Hinck beschreibt diesen inneren Kampf wie folgt: „Allen christlichen ‚Umpolungsentwürfen‘ konnte ich inzwischen nichts mehr abgewinnen. Weder Busse noch Gebet noch Kampf noch psychologische Analyse meiner Kindheit hatten mich geändert. Aber in dieser Zerrissenheit weiterzuleben, hiess für mich zugrunde zu gehen.“ (Hinck 2012, S. 12) Hinck ist bei weitem nicht die einzige, die so empfindet. Im Buch „Nicht mehr schweigen“ von Timo Platte (Platte 2019) erzählen 25 queere Menschen von ihrer Zerrissenheit zwischen Glauben und Identität. Allberrys Antwort für diese Menschen – und für sich selbst, da er selbst schwul ist – lautet ganz radikal: Enthaltsamkeit und Zölibat. Allerdings spürt man ausgerechnet bei Allberry eine tiefe Not zwischen den Zeilen, wenn er im Gespräch mit einem Pastor über sein Single-Leben in Tränen ausbricht. (Allberry 2021, S. 99) Doch gleich werden diese Gefühle wieder mit Bibelversen und Argumenten zubetoniert, denn sie dürfen auf keinen Fall sein. Für Allberry steht fest: „Sie [Christen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen, vl] können davon erzählen, wie diese Kämpfe – mit all dem damit einhergehendem Durcheinander und der Unsicherheit – ihnen tiefer bewusst gemacht haben, wie unfassbar gut Gott ist.“ (Allberry 2021, S. 75–81)  Leider treiben diese Kämpfe die meisten homosexuellen Christen eher in die Verzweiflung, weg vom Glauben, manchmal sogar in den Selbstmord. Für sie ist dies keine dogmatisch-theologische Frage, sondern eine tief existenzielle. Es geht um die Berechtigung, sein zu dürfen und nicht ständig diesen Grundgedanken zu spüren „wie ein schleichendes Gift […] dem man sich nicht entziehen kann. Er heisst: Du bist nicht richtig, wie du bist.“ (Grabe 2020, S. 64)

Und was machen wir damit?

Schmelzer sagt: „Statt uns auf Dogmatik zu verlassen und die Tatsache zu verleugnen, dass es auch in unseren eigenen Reihen viele Homosexuelle gibt, sollten wir einen ehrlichen und fairen Dialog mit ihnen eingehen.“ (Schmelzer 2015, S. 199) Fakt ist: Wir müssen als Christen und als Kirche bessere Lösungsansätze finden für diese Menschen anstatt sie mit sechs Bibelversen in die Hölle zu verdammen. Ob es uns gelingen wird? Ich wünsche es mir von Herzen.

Ich schließe mit einem Zitat von Melanie nach ihrem Outing: „Mein Körper hat sich beruhigt. Keine Panikattacken mehr. Ich geniesse die Ruhe in mir. Der Kampf ist vorbei.“ (Platte 2019, S. 144)

Antonio Guillem Fernández / Alamy Stock Foto

Literaturverzeichnis

Allberry, Sam (2021): Ist Gott homophob? Unter Mitarbeit von Johannes Osenberg. ungekürzte Ausgabe. Berlin: GD Publishing.

Eric (2014): Homosexualität in der Bibel. Hg. v. zwischenraum-schweiz. Online verfügbar unter https://www.zwischenraum-schweiz.ch/zum-thema/was-sagt-die-bibel-zur-homosexualitaet/, zuletzt geprüft am 24.11.2021.

Grabe, Martin (2020): Homosexualität und christlicher Glaube. Ein Beziehungsdrama. Marburg an der Lahn: Francke.

Hinck, Valeria (2012): Streitfall Liebe. Biblische Plädoyers wider die Ausgrenzung homosexueller Menschen. Neuaufl., überarb. und erg. Fassung der Erstausg. Dortmund: Dortmund-Verl. Krämer.

Platte, Timo (Hg.) (2019): Nicht mehr schweigen. Der lange Weg queerer Christinnen und Christen zu einem authentischen Leben. Pro Business Digital Printing & Copyservice GmbH. 1. Auflage. Berlin: Pro Business.

Schmelzer, Carsten (2015): Homosexualität. Auf dem Weg in eine neue christliche Ethik? 2. Aufl. Moers: Brendow.

Ein Gedanke zu “Homosexualität und Glaube

Hinterlasse einen Kommentar